Die Kraft des Kreuzes in Krankheit und Leid

Vorbemerkungen

Was ich hier weitergebe, ist vorläufiger Ertrag eines mehr als 20 jährigen Gebetsdienstes für Kranke. Der Hauptgrund, weshalb ich für Kranke bete, ist: Ich möchte Gott und seinem Wort gehorchen, selbst wenn als Antwort auf meine Gebete keine Heilung eintreten sollte.

In diesem Seminar wird weder eine umfassende Beleuchtung der Themen "Krankheit, Leid und Heilung", noch der Themen "Kreuz und Kraft" dargeboten werden können. Uns beschäftigen heute in erster Linie die Schnitt- und Berührungspunkte der beiden Themenkreise.

Die Kraft des Kreuzes wirkt sich auf das ganze Universum zurechtbringend aus. In unseren Überlegungen wollen wir 2 Aspekte besonders beleuchten:

a) was die Kraft des Kreuzes FÜR UNS vollbracht hat und

b) was die Kraft des Kreuzes IN UNS vollbringen will.

Mit John Stott bin ich der Überzeugung, dass „jede Heilung göttliche Heilung ist, ob sie nun ohne zusätzliche Hilfe geschieht oder durch die Anwendung medizinischer oder psychologischer Behandlung oder durch einen operativen Eingriff.“

Das Hauptziel göttlicher Heilung ist es m.E. nicht, uns Schmerzen und Krankheit zu nehmen, sondern uns von den Folgen der Sünde zum Dienst für den lebendigen Gott zu befreien. Das "Gebet um Heilung" schließt deshalb für mich die Überzeugung ein, dass man durch Schwierigkeiten, Leiden und Schmerzen geistlich wachsen kann.

1. Die Kraft des Kreuzes - durch die Auferstehung Christi erfahrbar

a) Die Theologie des Kreuzes ist, im Bilde gesprochen, der eine Brennpunkt einer Ellipse, die Theologie der Auferstehung ist der andere Brennpunkt. Es gibt nach dem Gesamtzeugnis des NT keine zutreffende Theologie des Kreuzes losgelöst von der Theologie der Auferstehung und umgekehrt. Und das "Licht der Auferstehung" bricht in unserer Zeit anbruchhaft als charismatische Wirklichkeit hervor.

b) Im NT ist das Kreuz der Ort, an dem in doppelter Hinsicht Freiheit für den Glaubenden ermöglicht worden ist: Als Jesus Christus, um die SÜNDEN der Menschheit zu tilgen, gekreuzigt wurde, gestorben ist, begraben und auferweckt wurde, war die SCHULD aller Menschen aller Zeiten bezahlt (2.Kor.5,19). Das hat Christus allein für uns vollbracht. Wer dies im Glauben für sich persönlich in Anspruch nimmt, erfährt die FREISPRECHENDE GNADE, er empfängt neues Leben durch den Heiligen Geist.

Damals am Kreuz ist aber weit mehr geschehen. Christus hat dort nicht nur die Sünden getilgt, sondern auch die MACHT DER SÜNDE IN UNS GEBROCHEN. Dies geschah dadurch, dass alle, die IHM jemals angehören würden, auf geheimnisvolle Art und Weise mit IHM mitgekreuzigt wurden (Gal.2,19-20) und mitgestorben sind (Kol.2,20). Wer damit im Glauben rechnet, erfährt die FREIMACHENDE GNADE. Die Tilgung unserer Sünden war ein EINMALIGER AKT, den Christus allein für uns vollbrachte und kann von jedem Glaubenden umfassend und ohne Einschränkung heute erfahren werden. Das Freiwerden von der Macht der Sünde ist ein PROZESS, der in dem Maße fortschreitet, wie wir uns mit dem Heiligen Geist in uns verbünden. Hier ist unsere "Mitarbeit" nötig. (Röm.6,13) Dieser Prozess wird in seinem vollen Umfang erst in der Ewigkeit abgeschlossen werden.

c) Die Gnade Gottes, die in Jesus Christus allen Menschen zum Heil erschienen ist, wendet sich zuerst an das Herz und das Gewissen des Menschen. Hier im Zentrum seiner Existenz soll es durch die Begegnung mit Jesus Christus zu einer Reinigung und Erneuerung seines Wesens kommen. Aber der Herrschaftseinbruch Gottes will sich nicht auf die Innerlichkeit des Menschen beschränken. Der ganze Mensch soll in den Vollzug der Erlösung mit hineingenommen werden. Jesus hat ja auch nicht nur gepredigt und gelehrt, er hat sich ebenso der Kranken hilfreich angenommen. Er hat nach den Berichten der Evangelien vor seinem Helfen zum Himmel aufgeblickt. Er hat das göttliche Einverständnis erlauscht und eingeholt. Erst wenn er der Willenszusage von oben gewiss war, hat er in Vollmacht gehandelt. Dabei hat er jede Art von Schauwunder leidenschaftlich abgelehnt und den Geheilten in der Regel auf das strengste verboten, das Wunder bekannt zu machen.

Ich möchte mit dem Gesagten Glaubende vergewissern, dass Jesus einen ewig gültigen, wirksamen Sieg über alle Mächte der Sünde und des Todes errungen hat und sie dazu herausfordern, im Hören auf Gott bereit zu werden, die Errettung Jesu Christi auch bis ins Leibliche hinein wirksam werden zu lassen.

2. Die Kraft des Kreuzes - ihre heilsgeschichtliche Entfaltung

a) Gott heilt nicht jede Krankheit und wo er heilt, tut er das nicht immer sofort. Heilungen sind gnädige Vorausproben der kommenden Reichsherrlichkeit. Wir haben keinen Anspruch darauf und müssen es Gott überlassen, ob und wann und in welchem Umfang er körperliche und seelische Leiden heilt. Immer aber dürfen und sollen wir glauben, dass er es vermag. Leider zweifeln wir oftmals sogar daran, wie wir überhaupt viel zu häufig an seinem Wort und seiner Liebe zweifeln. Sprechen wir doch in solchen Fällen wie jener Vater: "Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben!"

Ich möchte mit dem Gesagten jedem Zuhörer Mut machen, zuversichtlicher mit den Verheißungen Gottes in seinem Leben zu rechnen und Größeres als bisher in seinem Leben erwarten.

b) Viele Christen, besonders aus pfingstlichen und charismatischen Kreisen, sind der Überzeugung: "Der Sühnetod schließt in jedem Fall die körperliche Heilung mit ein." Demzufolge wird von ihnen gelehrt, dass genauso wie jedem Glaubenden heute bereits vollständige Vergebung seiner Sünden zuteil werden kann, so auch volle Heilung für seinen Körper und seine Seele. - Nun ist völlig unstrittig, dass der Sühnetod Jesu am Kreuz in jedem Falle die einzige Grundlage für Vergebung und Heilung ist. Deshalb aber die oben angeführte Schlussfolgerung in Bezug auf Heilung zu ziehen ist m.E. verfehlt.

Begründung: Wohl ist es richtig, dass alle, die aufrichtig an Jesus Christus glauben, durch das Kreuz ganz gewiss, unmittelbar und umsonst Vergebung der Sünden und Reinigung von Schuld erfahren können; Heilung von Schwachheit und Krankheit dagegen steht denen, die glauben nicht in jedem Fall und unmittelbar in gleicher Weise zur Verfügung. Keinem einzigen, der im Glauben kam, ist je Vergebung und Reinigung verweigert worden. Tausende und aber Tausende dagegen haben die Heilung um die sie im Glauben baten, nicht empfangen.

Wir müssen uns klarmachen, wozu sich Gott in seinem Bund verpflichtet hat und wozu nicht. Wir müssen unterscheiden zwischen dem, was Gott grundsätzlich tun kann, und dem, was er heute zu tun versprochen hat. Gott ist DER Arzt (2.Mo.15,26), und er ist es, der hinter aller Heilung steht. Aber wer im AT in den Bund eintrat, hatte damit nicht automatisch eine Garantie für Gesundheit und Heilung in den Händen. Der Neue Bund enthält wohl die uneingeschränkte Verheißung der Sündenvergebung (Mth.26,28; Apg.10,43; Kol.2,13) aber keine Verpflichtung Gottes, die besagt, dass er alle Krankheit schon in diesem Leben heilen werde. Im NT gibt es für die, welche glauben und Buße tun die Verheißung der Gnade und Vergebung, aber keine spezielle, uneingeschränkte Verheißung für Gesundheit und Heilung (Mth.11,28; Joh.1,12; 3,16-18; Apg.2,38-39; 16,31; 17,30). Der Gemeinde Jesu ist die Vollmacht erteilt worden, im Namen Jesu und in der Kraft des Heiligen Geistes die Vergebung der Sünden zuzusprechen (Joh.20,23). Aber sie hat nicht in gleicher Weise Vollmacht, zu heilen. Wenn Gott heilt, ist dies eine Gnade, die er uns außerhalb der Bundesverheißungen erweist. Die Vergebung jedoch hat er uns in den Bundesverheißungen zugesagt.

Wir können die Segnungen, die in der Erlösung Jesu Christi enthalten sind, mit einer der neuen Tablettenarten vergleichen, die sich rühmen, ihren Wirkstoff in genau berechneten Zeitabständen freizusetzen. In unserem Zeitalter ist die Errettung der Seele für einen jeden zu haben, der aufrichtig Buße tut und Christus als seinen Herrn und Heiland annimmt. Der Zeitpunkt für die Freisetzung umfassender Heilung ist, obwohl in der Erlösung vorhanden, offensichtlich noch nicht generell gekommen, d.h. jeder, der den Namen des Herrn anrufen wird, wird gerettet werden, aber nicht jeder, der heute diesen Herrn um Hilfe in körperlichen Nöten bittet, wird geheilt sein.

Ich möchte mit dem Gesagten dazu ermutigen, konsequenter mit dem zu rechnen, was Jesus heute versprochen hat in uns und durch uns zu wirken und so seinen Willen maßgebend sein zu lassen für unser Leben.

c) In den neutestamentlichen Briefen wird mindestens von 4 konkreten Fällen berichtet, wo Kranke nicht sofort geheilt wurden, zwei von ihnen sind wahrscheinlich ihr Leben lang krank geblieben:

c1. Epaphroditus, der Abgesandte der Gemeinde Philippi. Er reiste im Auftrag der Gemeinde nach Rom, besuchte Paulus in seiner Gefangenschaft und zog sich dabei eine schwere Krankheit zu (Phil.2,27). Die Worte des Paulus zeigen, wie sehr er E. geliebt hatte und wie sehr ihm seine Heilung am Herzen lag. Aus den zitierten Sätzen kann man folgern, dass für E. zwar wohl um Heilung gebeten worden war, sich aber keine direkte Besserung eingestellt hatte. E. kam im Verlauf der Krankheit dem Tod sehr nahe, was auch Paulus großen Kummer verursachte.

c2. Timotheus, rät Paulus in 1.Tim.5,23 ein wenig Wein zu trinken, "weil du so oft krank bist". Paulus hatte mehr über die Bedeutung des Glaubens zu sagen als irgend jemand sonst im NT, dennoch wies er T. an, ein wenig Wein zu trinken. Warum gab Paulus diesen Rat? Weil bis zu diesem Zeitpunkt das Gebet um Heilung für T. noch keine Wirkung gezeigt hatte.

c3. Trophimus, der Heidenchrist aus Ephesus, der Paulus auf seiner 3. Missionsreise begleitete. Von ihm schreibt Paulus im 2.Tim.4,20, dass er ihn in Milet krank zurückgelassen habe. Gewiss hatte Paulus auch für ihn gebetet, aber zum Zeitpunkt der Abfassung des Briefes hatte Paulus noch keine Nachricht von T. Genesung.

c4. Paulus selbst schreibt in Gal.4,13-14 von Krankheit während seines ersten Besuchs. Wir wissen nicht welche Krankheit es war, auf alle Fälle war Paulus damals krank gewesen.

Da es sich bei allen Kranken um geschätzte und erfahrene Mitarbeiter in der Gemeinde handelte, kann ihnen nicht einfach Sünde oder mangelhafter Glaube unterstellt werden.

Ich möchte mit dem Gesagten dazu ermuntern, das JA Gottes zu uns nicht an Gesundheit, Erfolg und Wohlbefinden, sondern allein am Kreuz von Golgatha abzulesen.

3. Die Kraft des Kreuzes - ein umfassendes Glaubensverständnis

a) Als Kinder unserer Zeit suchen wir alle in der Regel einfache und schnelle Lösungen. So ist auch vielen Christen ihr Glaube zu einer "Technik der Wunschbefriedigung" geworden. - Aber solche Glaubensvorstellungen, bei denen eindeutig der Mensch im Mittelpunkt steht, sind unbiblisch und müssen deshalb zurückgewiesen werden. Gott darf von uns nie als "Mittel zum Zweck" angesehen und missbraucht werden, auch nicht, wenn es um körperliche Heilung geht. Er will wohl das Beste für seine Kinder und die ganze Welt, aber seine Wert- und Zeitvorstellungen sind oft himmelhoch von unseren entfernt (Jes.55,9).

Heute leben viele Christen, ganz wie die Welt nach der Devise: nur Gesundheit, Leistungskraft, Stärke und Vitalität zählen. Krankheit, Not und Leiden werden verdrängt, überspielt, als Störfaktoren angesehen, möglichst nicht zur Kenntnis genommen. Eine solche Einstellung ist falsch und gefährlich (Luk.5,31). Auf diesem Hintergrund ist ein gewisser "unbedingter Heilungsglaube" mehr von einer unchristlichen Furcht vor dem Tode geprägt, als von einem Rechnen mit der Auferstehungskraft Christi.

Die immer geringer werdende Belastbarkeit, die Unfähigkeit und Unwilligkeit unangenehme Verhältnisse durchzustehen, lässt viele Christen besonders schnell zur "Allheilmittel" des persönlich praktizierten oder des durch andere gesprochenen "Heilungsgebet" greifen. Wo dieser immer geringer werdende Spannungsbogen jedoch eine Reifung unserer Persönlichkeit verunmöglicht, halte ich es für denkbar, dass Gott uns auch an körperlichen Leiden reifen lässt; denn er hat an einer reifer werdenden Persönlichkeit gewiss ebensolch großes Interesse, wie an einem gesunden Leib.

Ich möchte mit dem Gesagten dazu verhelfen, Gottes väterliches Wirken nicht nur in den frohmachenden, friedeschaffenden Wundern seiner Gnade, sondern auch in den schmerzvollen, enttäuschenden Erfahrungen von Dunkelheit und Verzweiflung zu erkennen.

b) Zunächst muss mit allem Nachdruck betont werden: Unser GLAUBE vermag gar nichts! Unser Glaube IST keine Kraft und HAT keine Kraft! Biblischer Glaube lebt allein von der TREUE des großen, wunderbaren GOTTES, der in Jesus Mensch geworden, für unsere Sünden gestorben und um unserer Rechtfertigung willen auferweckt worden ist. - Durch Menschen, die so mit seinen Möglichkeiten rechneten, tat Gott in früheren Zeiten die in Hebräer 11 geschilderten Dinge. Und noch heute tut Gott durch glaubende Menschen Großes zu seiner Ehre: Er heilt z.B. noch heute Kranke in wunderbarer Weise.

Aber, obwohl ich fest mit den unbegrenzten Möglichkeiten Gottes rechne, halte ich Wunder doch nicht für das Normale im Alltag eines Christen. Jesus war zwar in der Lage, über das Wasser zu gehen und es sogar seinen Jüngern zu ermöglichen (Mth.14,29), doch NORMALERWEISE hat er ein Boot benutzt. Jesus konnte zwar mit 5 Broten und 2 Fischen eine riesige Menschenmenge speisen, doch kauften seine Jünger NORMALERWEISE ihre Lebensmittel wie andere Menschen auch beim Händler ein (Joh.4,8). Wohl hat Jesus hat einen Sturm gestillt, aber Paulus erlitt Schiffbruch im Sturm (Apg.27).

Ich möchte mit dem Gesagten unterstreichen, dass Gott Menschen, die sich vertrauensvoll für sein Handeln öffnen, heute noch viel Gutes, auch leiblich, tut, dass der aber Glaube kein "Zaubermittel" ist, durch das alle Probleme in unserem Leben schnell gelöst werden können.

c) Mit Hebr.11,35a ist dieses großartige Glaubenskapitel aber noch nicht zu Ende. Es gab und gibt nämlich "ANDERE", die völlig andersartige GLAUBENSERFAHRUNGEN gemacht haben. Da ist scheinbar genau das Gegenteil von dem eben Geschilderten passiert: sie sind von Löwen gefressen worden, sie wurden verbrannt, sind durchs Schwert gefallen, sind kraftlos gestorben, im Kampf unterlegen etc. und dennoch wird auch von ihnen gesagt: V.39! Ja ihnen wird sogar das Zeugnis ausgestellt: V.38! Es scheint fast so, als würde gerade ihr Glaube, ihre Treue und ihre Standhaftigkeit, die sich im bis ans Ende getragenen Kreuz bewährte, besonders rühmend herausgestellt. Christen bleibt das Leiden nicht erspart, es ist ihnen geradezu verheißen worden (Apg.14,22). Wer von Christus, dessen ganzes Leben auf dieser Erde zusammengefasst wird in der Formel "gelitten unter Pontius Pilatus", Leidensfreiheit erwartet, der wird enttäuscht werden (Mth.5,4). Ich habe den Eindruck, dass wir einer Zeit entgegengehen, in der unsere Stellung zum Leiden unsere Stellung zu Jesus bestimmen wird.

Wir müssen das unbedingt beachten, damit wir nicht durch unbiblische Glaubensvorstellungen erheblichen Schaden erleiden und/oder bei anderen Christen verursachen. Zu allem Überfluss belasten oder schädigen dabei meist die Starken und Gesunden die Schwachen, Kranken und Beladenen. Es ist m.E. entweder unnüchterner Schwachsinn oder pharisäische Arroganz, wenn z.B. jemand behauptet: "Wer als Christ richtig glaubt, der bleibt von Krankheit und Leid verschont."

Ich möchte mit dem Gesagten dazu verhelfen, nicht ALLEIN in der Heilung ein Zeichen des Glaubens zu sehen, nicht NUR im Wunder das Wirken Gottes zu erkennen. Ich möchte unsere Geduld und unsere Hoffnung stärken, damit wir mit Geduld auf die noch ausstehende Vollerfüllung des von Christus erworbenen Heils warten können.

d) Hebr.12,1-2 In diesen beiden Versen wird uns gesagt, wie wir zu dieser Standhaftigkeit im Glauben kommen können. Durch das genaue Hinschauen auf Jesus können wir wichtige Lektionen lernen:

Jesus hat, indem er auf die vor ihm liegende Freude blickte, d.h. weil er eine über diese Welt hinausreichende Hoffnung hatte, das Kreuz erduldet und die Schande nicht beachtet. Weil die ewige Herrlichkeit eine Realität für ihn war, verlor er in aller Traurigkeit nie die Hoffnung und verzweifelte nicht. In Leiden und Not wird offenbar, wie real unsere Hoffnung ist (Hebr.13,13-14). Zum Leben in dieser Welt gehört ein Schmerz, den wir akzeptieren müssen. Jesus hat nicht den Schmerz geleugnet, aber er hat darüber hinausgeblickt. Jesus wurde durch sein Leiden nicht bitter und enttäuscht. Seine Liebe bewahrte ihn vor Verzweiflung und Depression (Lk.23,34). Die Kraft des Kreuzes wird auch in unserem Leben durch die biblische Hoffnung aktiviert.

Deshalb versuche nicht, alles was dir widerfährt verstehen zu wollen. Auf viele Fragen werden wir in diesem Leben keine Antwort bekommen (Ps.73,16). Auch wenn du dein Leid zu Gott bringst, wird es dadurch nicht in jedem Fall erklärlicher, aber auf jeden Fall erträglicher (Ps.73,23+26). Aus den anklagenden Frage an Gott wird ein ruhiges Gespräch mit Gott.

Echter Trost besteht in der Treue, mit der der Tröstende den Leidenden begleitet (Jes.66,13). Gott holt uns nicht AUS allem Leid heraus, aber er kommt gewiss IN unser Leid mit hinein. Jes.41,10: Diese Gewissheit trägt durch. Auch dann, wenn du zu schwach bist, überhaupt die Hand Gottes zu fassen, - hat ER deine Hand ergriffen und lässt sie gerade jetzt nicht los.

Eines Tages mag es in deinem Leben dunkel werden. Aber wenn ein Zug durch einen Tunnel fährt und es deshalb dunkel wird, dann wirfst du ja auch nicht deine Fahrkarte fort und springst aus dem Zug. Du bleibst ruhig sitzen und verlässt dich auf den Lokomotivführer.

Ich möchte mit dem Gesagten an diesem Punkt zur Buße, zum Umdenken anregen. Wir dürfen nie mehr so vom Glauben reden, dass die Kranken, Traurigen, Leidenden unter uns ein schlechtes Gewissen bekommen oder sich gar nur deshalb, weil sie krank sind, in ihrer Gottesbeziehung als "nicht-richtig-stehend" vorkommen. Ich will auch vor leichtfertigen, billigen "Tröstungen" warnen, die angesichts eines schwer Leidenden schnell ausgesprochen werden, ohne auch nur annähernd die wirkliche Situation des Betreffenden erfasst zu haben. Hier wird häufig Anteilnahme vorgetäuscht, die gar nicht da ist.

4. Die Kraft des Kreuzes - was sie bewirken will

a) Das Kreuz hat in der Geschichte der christlichen Kirche wohl den größten Bedeutungswandel und gleichzeitig den größten Bedeutungsverlust erlitten. Auch viele, die mit Ernst Christen sein wollen können mit dem Kreuz nicht mehr viel anfangen, ja oft missverstehen sie die Aufgabe des Kreuzes völlig. Wozu will Jesus uns mit den Worten in Matthäus 16,24-25 auffordern?

Was ist das "Kreuz"? Das Kreuz ist ein Symbol des Todes. Es steht für das abrupte, gewalttätige Ende eines Menschen. Der Mensch, der zu Zeiten des Römischen Reiches sein Kreuz aufnahm und den Weg hinunter trug, hatte seinen Angehörigen und Freunden Lebewohl gesagt. Jeder wußte: Er kommt nicht zurück!

Was ist denn nun überhaupt dieses Kreuz, das wir aufnehmen sollen? - Nicht jede Last, jede Not, jede Krankheit oder jedes Leid, die es in der Welt gibt, ist Kreuz Christi. Wohl aber jede Last, jede Krankheit, die du aus der Hand Jesu angenommen hast. Jedes Ereignis, das dich niederdrückt, mit dem du nicht fertig wirst und das du dennoch, ja gerade deshalb aus der Hand deines Gottes annimmst, ist für dich Kreuz Christi. Dabei lassen wir uns auch von der Tatsache, dass es, wie bei Jesus, in der Regel Menschen sind, welche uns die Lasten auflegen, nicht irritieren.

Durch seine Einstellung zum Kreuz entscheidet jeder Jünger heute täglich selbst über den Grad seiner Verbindlichkeit in der Nachfolge. Man kann nicht das Kreuz als Straferlass für sich bejahen und dasselbe Kreuz unter allen Umständen aus seinem Leben fernhalten wollen.

Für unseren Glauben aber steht es fest: Das Kreuz ist und bleibt Gottes Mittel und Weg Segen, Heil und Rettung zu bewirken. Wenn du alles was dir begegnet und dir nicht gefällt aus der Vaterhand Gottes als Kreuz, das dich lehrt, deinen Willen und dein ganzes Selbst immer wieder Gott und seinem guten Willen zu unterstellen, annimmst, dann verhilft dir dieses Kreuz dazu, ein rechter Jünger zu werden. Wenn du das nicht tust, wirst du dich daran wund reiben, aufreiben und im dagegen Ankämpfen untergehen.

Gib dich nicht mit der Theorie dieser Botschaft zufrieden! Wirke auf konkrete VERÄNDERUNGEN in deinem Leben hin! Wehre das Kreuz nicht ab, sonst wird es dir nicht zum Tor zur Herrlichkeit werden!

b) Welche Aufgabe hat das Kreuz in unserem Leben? In diesem Zusammenhang bleibt zumeist eine entscheidende Tatsache völlig unbeachtet: Jesus konnte sein Kreuz gar nicht lange tragen. Er brach erschöpft darunter zusammen und Simon von Cyrene wurde gezwungen, das Kreuz nach Golgatha zu schleppen (Mth.27,32). Was hat uns das zu sagen?

Würde unser Herr Jesus Christus etwas von uns erwarten, was er selbst nicht vermochte? Ich schöpfe aus der Tatsache, dass Jesus sein Kreuz nicht lange tragen konnte, viel Hoffnung. Es ermutigt mich zu wissen, dass ich nicht der einzige bin, dem die Last, die er zu tragen hat, manchmal zu schwer wird.

Hier liegt eine wichtige Wahrheit verborgen, die unsere gesamte Einstellung zu aller Not und allem Leid in unserem Leben von Grund auf ändern kann. Die eigentliche Aufgabe des Kreuzes liegt darin, dass es uns an das Ende unserer Möglichkeiten und unserer Kraft bringen soll. Dabei liegt die eigentliche Versuchung für uns nicht darin, dass wir von Schwäche übermannt nicht mehr weiterkönnen, sondern darin, dass wir uns anstrengen, unser Kreuz selbst wieder aufzuheben und es in eigener Kraft weitertragen zu wollen. Gott weiß jedoch, dass nicht eines seiner Kinder in der Nachfolge Jesu sein Kreuz allein tragen kann.

Viele Menschen bejammern ihre Schwachheit und wünschen sich Gottes Kraft für ihr Leben, damit sie angemessener gegen die Versuchung und den Feind ankämpfen könnten. Sie bitten um immer neue Erfüllungen durch den Heiligen Geist und fragen sich, warum er sie ihnen nicht machtvoller gibt. - Er gibt sie nicht, weil das nicht die Antwort wäre, die sie brauchen. Was wir brauchen ist nicht mehr Kraft, sondern tiefere Wirkungen des Kreuzes in unserem Leben. Wir müssen noch mehr an das Ende all unserer Möglichkeiten geführt werden, um dann vorbehaltlos dem Sieg zu vertrauen, der von Jesus am Kreuz schon errungen worden ist. Nicht immer mehr Kraft gibt den Sieg über die Sünde, sondern allein das Kreuz macht in unserem Leben den Weg frei für den Sieg Jesu Christi. Darum führt das Kreuz zur Scheidung der Geister. Ohne Kreuz gibt es keine wahre Gemeinde Christi Jesu. Wir sehen also: Das Kreuz ist ein machtvolles Mittel zu unserer nötigen Befreiung! Sollten wir es nicht dankbar willkommen heißen?

Welche konkreten VERÄNDERUNGEN würde es denn in deinem Leben mit sich bringen, wenn du das Kreuz sein Werk ungehindert tun lassen würdest. Weigere dich, das Kreuz im entscheidenden Moment abzuwerfen! Was würde das für deine berufliche, familiäre, gesundheitliche oder gemeindliche Situation bedeuten? Gestatte es dem Kreuz, dein Leben zu läutern!

c) Wozu sind denn diese Grenzerfahrungen nötig? Will Gott uns bestrafen oder quälen? Nein! Wir würden jedoch niemals die Herrlichkeit der Kraft Gottes in unserem Leben erfahren, wenn wir nicht immer wieder an das Ende unserer eigenen Möglichkeiten, Kräfte und Fähigkeiten kommen würden.

Satan möchte natürlich aus meiner Not, meinen Leiden und Problemen gern Kapital für sich schlagen und mich durch sie zerstören. Indem ich aber all das als Kreuz annehme, benutzt Gott diese Dinge, um mich reifer werden zu lassen, mich zu läutern und mich zu befähigen, brauchbarer in seinen Händen zu werden.

Gott will uns durch das Kreuz immer mehr in das Bild Jesu umgestalten. Nur durch das Kreuz wurde er zum Erlöser und Heiland der Welt. Was wäre Jesus ohne das Kreuz gewesen? - Was sind wir ohne Kreuz? Alles mögliche, aber keine Menschen durch die Gott heute helfen, retten, befreien kann. Nach Bernhard von Clairvaux ist das Kreuz "eine Last von der Art, wie es die Flügel für die Vögel sind: sie tragen sie aufwärts!"

Welche konkreten VERÄNDERUNGEN würde denn eine konsequente Annahme des Kreuzes in deinem Leben mit sich bringen? In Bezug auf deine berufliche oder familiäre oder gesundheitliche oder gemeindliche Situation?

5. Die Kraft des Kreuzes - wie man sie praktisch erleben kann

a) In früheren Zeiten wurde in bestimmten christlichen Kreisen die Möglichkeit direkten heilenden Eingreifens durch den Auferstandenen zu wenig ernstgenommen und sehr stark auf die charakterprägende Kraft der in Geduld ertragenen Krankheit hingewiesen. Als Gegenschlag dazu wurde von der Pfingst- und der charismatischen Bewegung die großartige Möglichkeit der Heilung durch die Kraft des Auferstandenen betont und die oft pauschal aufgetretene Behauptung, die Krankheit könne uns geistlich reifer machen, als aufgrund des NT-Befundes völlig abwegig zurückgewiesen. Beide Haltungen können m.E. nicht absolut gesetzt werden, will man nicht den Boden des NT verlassen.

Ich möchte mich dafür aussprechen, dass wir uns einen ausgewogenen Blick für den gesamten Ratschluss Gottes schenken lassen. Wer sich in seiner Glaubenserwartung nur auf die körperliche Heilung hier und heute konzentriert, verscherzt ihn sich ebenso wie derjenige, der alles ausschließlich in der Ewigkeit Gottes erwartet. Gewiss ist Heilung um den elliptischen Brennpunkt der Auferstehung zentriert. Aber das allzu oft erfahrene Ausbleiben von Heilung hält auch "Charismatiker" unter dem Kreuz - ebenso wie der unendliche Hunger auf dieser Erde und das Schreien der Gefolterten und das Stöhnen der Erniedrigten und Beleidigten.

b) Jesus sagt: "Ohne mich könnt ihr nichts tun!" (Joh.15,5) Ich habe den Eindruck, wir glauben dieses Wort oft nur sehr theoretisch und versuchen in der Praxis dann doch zumeist aus unseren eigenen Kraftreserven zu leben. Damit wir diese Lektion nun wirklich lernen, fordert uns Jesus auf, unser Kreuz zu nehmen und ihm damit zu folgen. Irgendwann sind wir dann am Ende und da kann das Kreuz für uns zum Tor zur Herrlichkeit werden. Ohne das Kreuz und die Erfahrung, an das Ende aller seiner eigenen Möglichkeiten gekommen zu sein, würden wir stets bei der gestern erfahrenen Güte, Kraft und Herrlichkeit Gottes stehen bleiben.

Nimm deshalb dein Kreuz getrost immer wieder auf und sei bereit, den Weg bis an das Ende zu gehen - bis an das Ende deines Eigenlebens. Jesus hat an dem was er litt Gehorsam gelernt (Heb.5,8). Wir werden den Gehorsam auch nur auf dem Weg des Kreuzes lernen. So zeigt sich die Kraft des Kreuzes auch darin, dass es uns im Leid Gehorsam, d.h. intensiveres Achten auf Gott lehren kann. Wege unterm Kreuz sind Erziehungswege für Jünger Jesu und Vorbereitungszeiten auf göttliche Herrlichkeiten, die in unserem Leben geoffenbart werden sollen.

Das Kreuz ist deshalb der Weg zur Kraft, weil nur dann, wenn der im Glauben erfasste Tod Jesu unser Denken und Handeln verändert, Gott uns mehr mit seinem Leben und seiner Kraft füllen kann. Vielleicht flehst du Gott schon lange an, dir mehr von seinem Heiligen Geist zu geben, und wunderst dich, warum dein Leben dennoch davon unberührt bleibt. Was du brauchst, ist mehr vom Kreuz!

Ich möchte dir Mut machen: Nur das für uns zu schwere Kreuz verhilft uns zu dem Erleben, dass wir einen haben, der stärker ist als Simon von Cyrene, der uns, gerade wenn wir am Ende sind und es eingestehen, zu Hilfe kommt. Erst wenn wir völlig schwach und am Ende, statt aufzugeben, von Christus Hilfe erbitten, werden wir sie erfahren. Nicht so, dass alle Schwachheit auf einmal wie weggeblasen wäre, sondern viel häufiger so, dass wir IN unserer Schwachheit Dinge tun können, die uns sonst völlig unmöglich waren (2.Kor.12,9-10).

c) Gottes Souveränität, seine Herrschaft und sein Reich bringen Heilung. Wir können nichts anderen tun, als zu beten: "Dein Reich komme!" - und ihm zu vertrauen; es liegt an ihm, mit seiner gnädigen Hand Heilung zu wirken. Wenn wir jetzt noch keine Heilung erfahren, so haben wir durch seinen Sühnetod trotzdem die Gewissheit, dass wir in der kommenden Zeit geheilt sein werden. Diese Situation mag demütigend sein, erinnert uns aber daran, dass sich unsere vollkommene Erlösung erst bei Jesu Wiederkunft offenbaren wird. Heute warten wir noch "auf unseres Leibes Erlösung" (Röm.8,23). Wir wissen, dass Jesu Sühnetod uns Heilung für den Leib gebracht hat; wenn Gott nun aber nicht jede Bitte um Heilung erhört, so ist das ein Teil des Kreuzes, das wir IHM hier in diesem Leben nachtragen sollen und wir haben kein Recht zu folgern, dass unser Glaube oder Gottes Treue mangelhaft seien.

Ich möchte mit dem Gesagten neu bewusst machen, dass erst vollkommene Beziehungen zwischen vollkommenen Menschen in einer vollkommenen Welt vollkommenes Glück ohne Schmerz und Leid Wirklichkeit werden lassen können.

Da es uns in der Regel weit weniger Mühe macht, die Kraft des Kreuzes in der erfolgten Heilung zu erkennen, habe ich mich in meinen Ausführungen etwas mehr auf die Beschreibung der Kraft des Kreuzes IN Krankheit und Leid konzentriert. Denn wenn wir Gott nur dann erkennen, wenn die Sonne scheint, wird unsere Gotteserkenntnis oberflächlich bleiben. Nur wenn wir ihm in Zeiten des Sturms vertrauen lernen, wird unsere Beziehung reifen. Das am weitesten entfernte Objekt, das wir bei Tage sehen können, ist die Sonne. Aber in der Dunkelheit der Nacht sehen wir unzählige Sterne, die sehr viel weiter entfernt sind als die Sonne. „Geben werde ich dir die Schätze der Finsternis.“ (Jes.45,3)

Manfred Herold

Manfred Herold