Glaube und Werke bei Paulus und Jakobus
Wir lesen Römer 4,3: „Denn was sagt die Schrift? Abraham aber glaubte Gott, und das wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet.“ (1. Mose 15,6) und Jakobus 2,20-24: „Willst du aber erkennen, du nichtiger Mensch, dass der Glaube ohne die Werke tot ist? Wurde nicht Abraham, unser Vater, durch Werke gerechtfertigt, als er seinen Sohn Isaak auf dem Altar darbrachte? Siehst du, dass der Glaube zusammen mit seinen Werken wirksam war und dass der Glaube durch die Werke vollkommen wurde? Und so erfüllte sich die Schrift, die spricht: »Abraham aber glaubte Gott, und das wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet«, und er wurde ein Freund Gottes genannt. So seht ihr nun, dass der Mensch durch Werke gerechtfertigt wird und nicht durch den Glauben allein.“
Diese unterschiedlichen Aussagen in Römer 4,3 und Jakobus 2,20-24 haben schon manchem Bibelleser Kopfzerbrechen bereitet. Selbst den großen Reformator Martin Luther brachten sie dazu, den Jakobusbrief als „stroherne Epistel“ zu bezeichnen.
Dieses Beispiel kann uns als Vorbild dienen, die Heilige Schrift sorgfältig auszulegen, d.h. die verschiedenen Adressaten, den jeweiligen Zusammenhang und die ursprüngliche Aussageabsicht zu beachten. - Widersprechen sich Paulus und Jakobus hier?
1. Die Adressaten und Absichten
Paulus und der Römerbrief
Wem schrieb Paulus diesen Brief mit welcher Absicht? - Paulus schreibt den ihm bis dahin unbekannten Römern. Er legt ihnen die ihm von Gott anvertraute Botschaft des Evangeliums von Jesus Christus dar (Römer 1,16-17). Er beschreibt, wie man mit Gott ins Reine kommt. Dazu skizziert er das Evangelium bereits in den ersten Versen des Briefes - Römer 1,1-4:
Wer ist mit "Er" gemeint? - Gott, der Vater
Was wurde verheißen? - das Evangelium
Durch wen wurde es verheißen? - durch die Propheten
Wo wurde es verheißen? - in den Schriften des AT
Wann wurde es verheißen? - zuvor
Was ist der Inhalt des Evangeliums? - Jesus Christus
Jakobus und der Jakobusbrief
Jakobus, der Halbbruder Jesu (Markus 6,3) ist der Verfasser dieses Briefes. Um 44 n. Chr. war Jakobus einer der Führer der Gemeinde in Jerusalem (Apostelgeschichte 12,17) und Leiter des ersten Gemeindekonzils (Apostelgeschichte 15,13+19; Galater 2,1-2+9-10).
Wem schrieb Jakobus diesen Brief mit welcher Absicht? - Jakobus schrieb an Christen (1,1), um sie in ihrem Christenleben zu stärken. Er schildert im Jakobusbrief, wie ein lebendiger Glaube aussehen soll:
Lebendiger Glaube wird durch Trübsal auf die Probe gestellt - Kap. 1
Lebendiger Glaube wird durch Werke erwiesen - Kap. 2
Lebendiger Glaube wird durch das Leben bezeugt - Kap. 3–4
Lebendiger Glaube wird in Verfolgung bewährt - Kap. 5
Es ist bezeichnend: Jakobus spricht nirgends in seinem Brief von einer Errettung aus Werken. Denn die Errettung geschieht allein durch Gott und dem Glauben, den Er aus Gnaden schenkt.
2. Glaube und Rechtfertigung bei Paulus
Um das Verhältnis zwischen Glaube und Werken besser zu verstehen, ist es nötig, die Bedeutungsunterschiede der Begriffe „Glaube“ und „Rechtfertigung“ im Römer- und im Jakobusbrief zu beachten.
Paulus spricht im Römerbrief von Gesetzeswerken (Römer 3,20+26; Galater 2,16), durch die jemand versucht, vor Gott gerecht zu werden. Das aber ist unmöglich, denn kein Mensch kann das Gesetz halten („Darum, aus Gesetzeswerken wird kein Fleisch vor ihm gerechtfertigt werden.“ Römer 3,20).
„Gott recht“ wird ein Mensch nur durch Glauben ohne Gesetzeswerke (Römer 3,28; 5,1). Wenn Paulus von „Glauben“ spricht, dann denkt er an den lebendigen Glauben im Herzen eines Menschen, den nur Gott sieht. Dieser Glaube an Gott ist die Grundlage unserer Rechtfertigung, und gute Werke spielen dabei keine Rolle. Gott rechtfertigt den, der des Glaubens an Jesus ist (Römer 3,26b). Gott betrachtet einen solchen als gerecht. Er sieht ihn in dem Herrn Jesus, durch den er Gerechtigkeit geschenkt bekommen hat (1. Korinther 1,30); und er, der begnadigte Sünder, ist Gottes Gerechtigkeit geworden im Herrn Jesus (2. Korinther 5,21).
Was meinen Christen, wenn sie von dem „Glauben an Jesus Christus“ sprechen? - Glaube ist nicht nur ein Für-wahr-halten, sondern ein Leben in enger Gemeinschaft mit Jesus, das Rechnen mit dem, was Er für mich am Kreuz von Golgatha tat. Glaube ehrt Jesus , weil er Ihm vertraut, weil er eine Beziehung zu Jesus darstellt.
Weshalb können gute Werke vor Gott nichts ausrichten? - Weil der Mensch völlig verdorben ist und deshalb nichts Gutes hervorbringen kann. Dem wird heute besonders hart von vielen Seiten her widersprochen. Die röm.-kath. Kirche z.B. sagt: „Der Mensch ist durch den Sündenfall zwar verwundet oder verletzt worden, er hat aber dennoch die Fähigkeit behalten, aus eigenem Antrieb heraus Gott zu suchen. Der Kern des Menschen ist gut geblieben und er ist daher in der Lage, sich selbst aus der Knechtschaft der Sünde zu befreien sowie gute Werke zu tun und sich Verdienste vor Gott zu verschaffen.“ (Katechismus der Katholischen Kirche, § 1730-1731) - „Gnade wird durch gute Werke verdient.“ (Katechismus der Katholischen Kirche, § 2010, 2027)
Was ist das einzige Werk, das Gott von uns verlangt? - Gott fordert nichts anderes, als unseren Glauben (Johannes 6,29). Ich kann und soll gar nichts anderes tun, um gerettet zu werden. Wenn ich denke, meine Werke wären noch notwendig, um gerettet zu werden, so ist das ein Misstrauensvotum Jesus gegenüber, als ob Sein Werk nicht ausreiche.
Um noch ein weit verbreitetes Missverständnis hinsichtlich des Glaubens auszuräumen, möchte ich in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hinweisen, dass der Glaube an und für sich gar nichts bewirkt oder bedeutet. Es geht beim christlichen Glauben immer um das Objekt des Glaubens, also um Christus und niemals um uns, d.h. unseren Glauben. Sobald es heißt: „Der Glaube hilft!“ - „Der Glaube rettet!“ - „Der Glaube befreit!“ besteht immer die Gefahr, dass ein zu großes Gewicht auf den menschlichen Glauben und nicht mehr auf Christus gelegt wird. Denn wahr ist: Christus hilf, rettet und befreit! Nichts und niemand sonst. Der Glaube ist die ausgestreckte Hand, die Gottes Gabe in Empfang nimmt. Nun muss aber nicht die Hand, sondern die Gabe und der Geber gerühmt werden.
3. Glaube und Rechtfertigung bei Jakobus
Jakobus sieht den Glauben und die Rechtfertigung aus einer anderen Perspektive. Der Glaube hat bei Jakobus die Bedeutung von Glaubensbekenntnis, das echt oder unecht sein kann. Es geht ihm um die Frage: „Wie kann ein Mensch von anderen Menschen als gläubig, d.h. gerecht erkannt werden? Wie kann man seinen Glauben zeigen?“ Jakobus hatte es also mit Menschen zu tun, die von ihrem Glauben redeten, aber den Beweis ihres Glaubens schuldig blieben. Es geht ihm also im Gegensatz zu Paulus um die Rechtfertigung vor Menschen.
Jakobus sieht den Menschen vor seinen Mitmenschen. „Zeige mir deinen Glauben“, sagt der eine zum anderen. Gott benötigt keine Werke, um zu sehen, ob jemand glaubt. Er rechnet dem Menschen im Moment seiner Bekehrung die Gerechtigkeit Jesu zu, ohne dass dieser – bis auf seine Bekehrung – auch nur ein einziges gutes Werk getan hat.
Aber anderen Menschen muss der Gläubige seinen Glauben zeigen, und dazu braucht es Werke, die beweisen, dass er Glauben hat. Erst wenn diese Werke sichtbar werden, wird der Glaube „vollendet“, das heißt vor Menschen bestätigt.
In Jakobus 2 heißt es von Abraham und Rahab, dass sie aus Werken gerechtfertigt wurden (Verse 21+25). Gott wusste, dass Abraham und Rahab glaubten. Er sah den lebendigen Glauben in ihren Herzen und wusste, dass sie gerecht waren. Vor Ihm mussten sie sich nicht durch Werke rechtfertigen. Aber Gott wollte sie vor den Augen der Menschen rechtfertigen, und das geschah durch ihre Werke. Die Werke, die sie taten, erwiesen sie als Gerechte.
Unsere Mitmenschen können nicht in unsere Herzen sehen und wissen daher nicht, ob wir glauben oder nicht. Unser Betragen, unsere Taten sind es, die uns als Gerechte ausweisen. Sie rechtfertigen uns vor Menschen. Das ist es, was Jakobus meint, wenn er in Kapitel 2,18 schreibt: „Du hast Glauben, und ich habe Werke; zeige mir deinen Glauben ohne die Werke, und ich werde dir meinen Glauben aus meinen Werken zeigen.“ Ohne Werke können wir unseren Glauben nicht zeigen, aber durch einen gottgemäßen Lebenswandel und gute Werke machen wir unseren Glauben allen offenbar, wir zeigen ihn. Ein Glaubensbekenntnis ohne die entsprechenden Werke ist tot, in anderen Worten, nicht glaubwürdig (Vers 26).
Wie sollen wir unseren Glauben vor den Menschen bezeugen? - Mit Worten (Matthäus 10,32) und Werken (Matthäus 5,16).
Der Glaube an Jesus Christus, weil er eine gelebte Beziehung ist, verändert ein Leben vollständig. Sowohl die Worte, als auch die Werke. Dieser Glaube macht das Leben neu, weil er ihm einen neuen Bezugspunkt, eine neue Kraftquelle gibt. Das Neuwerden ist an verändertem Reden und Verhalten, Tun und Lassen ablesbar. Wo das nicht der Fall ist, da fehlt der Echtheitsbeweis der Erlösung. Leben mit Gott und aus Gott bringt Frucht hervor, die sichtbar wird.
Die meisten Menschen um uns herum glauben nicht an Gott und lesen auch nicht die Bibel, aber es ist der Wille des Herrn, dass sie unsere guten Werke sehen und dadurch zu Ihm geführt werden (Matthäus 5,16). Ich denke, wir unterschätzen allzu oft die mächtige Aussagekraft eines gottesfürchtigen Lebenswandels. Sie ist oft viel mächtiger als unsere Worte.
Das Thema „Gute Werke“ nimmt im Neuen Testament und besonders in den Briefen von Paulus einen großen Raum ein. Immer wieder werden wir zu guten Werken aufgefordert oder ermuntert, nicht darin zu ermatten. Insgesamt 29-mal lesen wir im Neuen Testament von guten Werken oder gutem Werk; 9-mal finden wir den Ausdruck „in/zu jedem guten Werk“. Es ist ein sehr praktisches Thema, das jeden einzelnen Christen persönlich anspricht (Titus 1,16;2,10+14;3,8+14). Es fällt jedoch auf, dass Paulus für die Wirkungen des Glaubens in der Regel das umfassendere Wortbild „Frucht“ verwendet. Damit unterstreicht er zugleich die Abhängigkeit des Gläubigen von Jesus (der die Frucht letztlich bewirkt; vgl. Galater 5,22).
Jakobus setzt die Wahrheiten, welche Paulus gelehrt hatte, bei seinen Ausführungen voraus und knüpft daran an. Glaube, der keine Werke hervorbringt, ist tot. Deine Werke machen deinen Glauben für deinen Nächsten erfahrbar. Wenn solche Glaubenswerke fehlen, ist er es nicht.
Zusammengefasst: Jakobus widerspricht Paulus nicht, wenn er sagt, dass „ein Mensch aus Werken gerechtfertigt wird“ (Jakobus 2,24), denn die Werke, die Jakobus meint, sind keine Gesetzeswerke, sondern Werke des Glaubens. Der Glaube muss Werke haben, also Glaubenswerke, sonst ist er tot (Vers 17). Es sind also nicht Werke, durch die man sich eine Position vor Gott erwerben will, sondern Werke, die der Glaube, der einen Menschen bereits in diese Position gebracht hat, in ihm hervorbringt.
Paulus sieht den Menschen und seine Werke vor Gott: „Darum, aus Gesetzeswerken wird kein Fleisch vor ihm gerechtfertigt werden“ (Römer 3,20).
Gerade das von beiden Schreibern verwendete Zitat aus dem Leben Abrahams macht deutlich, dass sie an unterschiedliche Dinge denken, wenn sie von Rechtfertigung sprechen. Denn Paulus sieht Abraham (vor Gott) in dem Moment gerechtfertigt, als er Gott glaubte (1. Mose 15). Jakobus dagegen sieht Abraham erst in dem Moment gerechtfertigt (vor Menschen), als er seinen Glauben in der Opferung Isaaks unter Beweis stellte (1. Mose 22). Abraham hatte schon in 1. Mose 15 geglaubt, dass Gott aus schon Erstorbenem Leben erwecken könnte, aber wie hätte er es mehr unter Beweis stellen können, als durch die Opferung dessen, von dem Gott gesagt hatte: „In Isaak soll dir ein Same genannt werden“ (1. Mose 21,12).
Sollte dies nicht auch für uns ein Ansporn sein, unseren Glauben vermehrt zu zeigen, unter Beweis zu stellen?
4. Die grundsätzliche Einheit von Paulus und Jakobus in der Sache
1.) Jakobus und Paulus stimmen darin überein, dass der Mensch seine Gerechtigkeit vor Gott nicht aus dem Gesetz gewinnen kann. Das Gesetz macht den Menschen zum Sünder. Wurde ein Gebot übertreten, lässt sich die verlorene Gerechtigkeit nicht durch Gehorsam gegenüber einem anderen Gebot wiederherstellen (es gibt keine Ersatzleistungen; vgl. Römer 3,19; mit Jakobus 2,10-11).
2.) Sowohl Paulus als auch Jakobus glauben, dass die Rechtfertigung von Gott kommt. Beide begründen diese Wahrheit mit dem Hinweis auf Abraham. Nur dass Jakobus auf zwei unterschiedliche Situationen im Leben Abrahams anspielt. Er betont, dass die Gerechtigkeit, die Abraham von Gott empfing (Jakobus 2,23) vor Menschen dokumentiert wurde, als er bereit war, den Sohn der Verheißung (Isaak) zu opfern (Jakobus 2,22; vgl. dazu Römer 4).
3.) Die Gerechtigkeit von Gott empfängt der Mensch durch Glauben. Was bei Paulus immer wieder betont wird, bestätigt auch Jakobus (Jakobus 2,23).
4.) Für Jakobus geht es, wie für Paulus, primär um den Glauben. Jakobus thematisiert aber auch die Möglichkeit eines defizitären Glaubens (Kopfglaube statt Herzensglaube). Prüfungen Gottes sind Gelegenheiten, den Glauben zu bewähren und sind darum positiv zu bewerten (Jakobus 1, 2-12 ). Auch Paulus schätzt die Prüfungen des Glaubens (Römer 5,1-5). Auch er fordert Gläubige zur Selbstprüfung auf: „Erforscht euch selbst, ob ihr im Glauben steht; prüft euch selbst! Oder erkennt ihr euch selbst nicht, dass Jesus Christus in euch ist?“ (2. Korinther 13,5).
5.) Das christliche Verhalten setzt das Verharren in der christlichen Botschaft voraus. Im Kern geht es dabei nicht um bloßes Wissen, sondern um ein hindurchschauen in das „Gesetz der Freiheit“ (Jakobus 1,25; 3,14-18), bzw. um „das Gesetz des Geistes, des Leben in Christus“, wie es Paulus in Römer 8,1-4 formuliert.
6.) Sowohl Jakobus als auch Paulus, unterweisen die Gemeinden im Gehorsam, der aus dem Glauben kommt. Die christliche Tat soll das Miteinander der Gläubigen prägen (vgl. Römer 12,3-14 mit Jakobus 3, 14-18).
7.) Jakobus schreibt an Judenchristen (Jakobus 1,1). Judenchristen waren mit der biblischen Offenbarung vertraut - und oftmals stolz darauf. Deshalb drängt er sie, ihr Wissen auch anzuwenden, statt einfach nur „Besserwisser“ zu sein (3,1). Paulus spricht genauso eindringlich, wenn er judenchristliche Gruppen in den Gemeinden anspricht (Römer 2,17-29).
Manfred Herold