Wer oder was ist „Israel“?

Nicht nur Menschen, sondern auch Begriffe und Namen unterliegen Entwicklungen und es ist für Bibelleser wichtig, dies zu verstehen und zu berücksichtigen. So wird z.B. mit dem Namen „Israel“ in der Bibel zu verschiedenen Zeiten durchaus unterschiedliches bezeichnet.

1. Prolog

Abraham wurde von Gott als Träger der Verheißung erwählt (1. Mose 12). Nur Isaak wurde unter den Nachkommen Abrahams ebenfalls zum Träger der Verheißung erklärt (nicht Ismael).

Sind alle Nachkommen Isaaks Träger der Verheißung? Nein, nur Jakob, nicht Esau!

2. „Israel“ ist in der Bibel der neue Name Jakobs.

  1. „Israel“ ist der neue, von Gott verliehene Name Jakobs (1. Mose 32,29; 35,10; 35,21), des Trägers der Verheißung. Er bedeutet: „Gotteskämpfer; es streitet Gott“. Die Begründung: „Denn du hast mit Gott und mit Menschen gerungen und hast gesiegt“ (1. Mose 32, 28); und: „Und in seiner Manneskraft kämpfte er mit Gott“ (Hosea 12, 10). Israel ist der Ehrenname der echten Israeliten durch ein gottgemäßes Verhalten (Johannes 1, 48; Römer 9, 6; Psalm 73, 1; Hosea 8, 2).- Danach kannten ihn wohl noch viele als den „alten Jakob“, aber vor Gott war er nun „Israel“. Gottes Namensgebung war entscheidend und setzte sich durch. (2. Mose 3,16)

3. „Israel“ sind in der Bibel die 12 Söhne Jakobs und die daraus hervorgehenden 12 Stämme Israels.

„Israel“ ist die alttestamentliche Nation Israel, die hauptsächlich Nachkommen Jakobs umfasst, aber auch integrierte „Fremdlinge“.

Durch die Zeiten hindurch war Israel stets mehr oder weniger als „das Volk Gottes“ bekannt. Besonders dann unter Davids und Salomos Königsherrschaft.

Gottes besonderer Bund mit David:

  1. Dieser Bund hat als Ziel und Mittelpunkt Christus.

  2. Dieser Bund sieht eine davidische Dynastie („Haus“ oder „Familie; 2. Samuel 7,4-17) vor, die den Messias hervorbringen sollte (Matthäus 1,1+16; Lukas 3,23).

  3. Dieser Bund beinhaltet ein nie endendes Königreich (2. Samuel 7,12), und einen Thron (2. Samuel 7,13). Dieser königliche Bund Gottes mit David hatte nur eine Bedingung: Züchtigung für jeden Ungehorsam in der königlichen Linie Davids. Der Bund als solcher aber sollte niemals aufgehoben werden (2. Samuel 7,15), sondern er sollte „ewigen Bestand“ haben (2. Samuel 7,16).

    Er wurde Maria, der Mutter Jesu, durch den Engel Gabriel bestätigt (Lukas 1,31-33; Apostelgeschichte 2,29-32; 15,14-17).

  4. Dieser Bund besteht noch immer in Jesus Christus. Er ist der König aus dem Hause Davids und wurde in Jerusalem mit einer Dornenkrone gekrönt. „Sein Haus, d.h. seine Familie sind wir! (d.h. die Glaubenden - Hebräer 3,6) Er hat den Thron bereits eingenommen und herrscht (Epheser 1,20-21; Hebräer 2,7-9), obwohl wir das nur im Glauben sehen können. Dies ist der Thron seines Vaters David. In IHM hat sich die Verheißung erfüllt und wir sind in diese Erfüllung mit hineingenommen.

  5. Israel war z.Zt. des Alten Testamentes überwiegend das „Israel nach dem Fleisch“ (1. Korinther 10,18). Es hatte sich in seiner großen Mehrheit von Gott abgewandt und deshalb sandte Gott seine Propheten, um es zur Umkehr zu rufen.

    Waren zur Zeit der Propheten alle Israeliten, alle natürlichen Nachkommen Jakobs auch Träger der göttlichen Verheißung, also wahres „Israel“?

4. „Israel“ das Land.

Mit „Israel“ ist auch stets das „Land Israel“ gemeint, das Territorium, das Gott seinem Volk zugewiesen hat.

In den Zeiten des geteilten Reiches führte das Zehnstämmereich diesen Namen im Gegensatz zum Reiche Juda. Das Nordreich existierte von 970 bis 721 v. Chr.; in dieser Zeit wurde es von 19 Königen regiert, die alle gottlos waren.

5. „Israel“ ist der moderne Staat.

„Israel“ ist der Name des modernen Staates, der 1948 auf historischem Gebiet im Zuge der Zionismus-Bewegung neu gegründet wurde.

6. „Israel“ d.h. Christus ist der wahre Same Abrahams.

Der Name „Israel“ ist bereits im Alten Testament auch für den „Knecht Gottes“ gebräuchlich (Jesaja 49, 3), der ganz klar Jesus Christus ist. „Israel“ ist das „Israel Gottes“, das wahre Israel, das wahre Volk Gottes, das alle durch Jesus Christus Erlöste umfasst. Im Neuen Testament wird immer klarer:

  • „Nicht alle, die von Israel abstammen, sind Israel..“ (Römer 9,6)

  • „Nicht die Kinder des Fleisches sind Kinder Gottes, sondern die Kinder der Verheißung werden als Same gerechnet.“ (Römer 9,8)

  • „Die aus Glauben sind, diese sind Abrahams Kinder.“ (Galater 3,7)

  • „Dass aber Israel, das nach dem Gesetz der Gerechtigkeit strebte, das Gesetz der Gerechtigkeit nicht erreicht hat. 32 Warum? Weil es nicht aus Glauben geschah, sondern aus Werken des Gesetzes. Denn sie haben sich gestoßen an dem Stein des Anstoßes.“ (Römer 9,31-32)

  • „Jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden.“ (Römer 10,13)

  • „Ich frage nun: Hat Gott etwa sein Volk verstoßen? Das sei ferne!“ (Römer 11,1)

  • „Um ihres Unglaubens willen sind sie ausgebrochen worden; du aber stehst durch den Glauben. Sei nicht hochmütig, sondern fürchte dich!“ (Römer 11,20)

  • „Israel ist zum Teil Verstockung widerfahren, bis die Vollzahl der Heiden eingegangen ist; 26 und so wird ganz Israel gerettet werden.“ (Römer 11,25-26)

  • „Über alle, die nach dieser Regel wandeln, komme Frieden und Erbarmen, und über das Israel Gottes!“ (Galater 6,16)

  • „Dass ihr in jener Zeit ohne Christus wart, ausgeschlossen von der Bürgerschaft Israels und fremd den Bündnissen der Verheißung; ihr hattet keine Hoffnung und wart ohne Gott in der Welt. Jetzt aber ...“ (Epheser 2,12-13)

7. „Israel“ im Verlauf der Heilsgeschichte

Im Verlauf der Heilsgeschichte musste die Frage „Was ist Israel und wer herrscht über es?“ differenziert beantwortet werden.

Zur Zeit Moses lautete die Antwort: Das Volk, welches Gott aus Ägypten befreit hat, das ER durch die Wolken und Feuersäule führt mit Mose als Mittler. Verheißungsträger war das gehorsame Volk Israel.

Zur Zeit der Richter lautete die Antwort: Das Volk, dem Gott das Land Kanaan gegeben hat und das durch von Gott bevollmächtigte Richter leitet. Verheißungsträger war das gehorsame Volk Israel.

Zur Zeit Davids lautete die Antwort: Das Volk, dem Gott seinen reichen Segen schenkt und das ER durch den König David regiert. (1. Samuel 8,7)

Zur Zeit Zedekias, dem letzten König von Juda: Das Volk, das ich um seines Ungehorsams willen verworfen habe und durch Nebukadnezar aus dem Land wegführen lasse. (Jeremia 6,19+7,15) (Nicht Gott hatte sich geändert, sondern das Volk. - Verheißungsträger war der heilige Überrest.)

Zur Zeit Jesu lautete die Antwort: Das Volk, das die Botschaft Gottes hörte, sie aber zurückwies. (Matthäus 23,37) Verheißungsträger war Jesus.

Nach Pfingsten lautete die Antwort: Das wahre Israel sind die an Jesus Glaubenden und der auferstandene Jesus Christus ist sein Herr und König (Galater 3,6). (Meint jemand, dass ER noch einmal diese Herrschaft abgeben wird?) Verheißungsträger ist der auferstandene Herr Jesus Christus und die an Ihn Glaubenden.

Wenn wir heute wissen wollen, wer oder was „Israel“ ist und Gottes Wort ernst nehmen und nicht früher gültige Maßstäbe für uns heute geltend machen wollen, dann bleibt nur die Antwort: Das wahre Israel, dem die Verheißungen Gottes gelten, ist Jesus Christus in seiner Fülle, d.h. Er und sein „Leib“, die Gemeinde der an Jesus Glaubenden.

Um zu verstehen, warum Christen zu solch unterschiedlichen Meinungen kommen, müssen wir ihre Vorannahmen, mit denen sie an die Bibelauslegung herangehen kennen und gründlich untersuchen. Diese Vorannahmen sind insbesondere dann problematisch, wenn sie unerwähnt bleiben – oder schlimmer noch, wenn man meint, es gäbe keine solchen Vorannahmen.

Die reformatorische Hermeneutik

Sie fußt auf 3 Grundannahmen:

Das Neue Testament erklärt das Alte Testament.

Das Neue Testament bietet als Schlusspunkt der Heilsoffenbarung den maßgeblichen Blickwinkel zum richtigen Verständnis des gesamten Alten Testamentes.

Uns interessiert heute vor allem, wie das Neue Testament mit den alttestamentlichen Texten umgehen und wie sie sie anwenden. Wenn die Schreiber des Neuen Testaments alttestamentliche Prophetie nicht buchstäblich versehen, dann bedeutet das, dass diese Stellen im Licht des Neuen Testaments verstanden werden müssen und nicht umgekehrt. Wir haben also aus dem Neuen Testament den Rahmen für eine zutreffende Eschatologie zu entnehmen.

Jesus Christus ist die Erfüllung alttestamentlicher Verheißungen

Die Propheten und Verfasser des Alten Testaments schildern das messianische Zeitalter in Begriffen ihres eigenen, vormessianischen Zeitalters. Im Neuen Testament wird durch das Erscheinen des Messias das Alte Testament neu interpretiert (2. Korinther 1,20). Jetzt erfahren wir, dass die alttestamentlichen Dinge „Abbilder und Schatten“ der herrlichen Wirklichkeiten sind, die in Jesus Christus erfüllt wurden (Kolosser 2,17; Hebräer 10,1). Jetzt wird deutlich: Christus ist der wahre Thronerbe Davids, Christus ist der heilige Tempel Gottes, Christus ist das wahre Israel.

Die „Analogie des Glaubens“ (analogia fidei)

Hiermit ist gemeint, dass unklare Schriftstellen im Lichte der klaren Schriftstellen zum selben Thema auszulegen sind. Wir sollten also die klaren und leicht verständlichen Schriftstellen als Grundlage nehmen, um die schwierigen Stellen zu verstehen.

Manfred Herold

Manfred Herold