Welche Verheißungen des Alten Testamentes gelten mir als Christ?
Morgens lese ich in meiner Bibel. Ich stoße im Alten Testament auf eine Verheißung oder einen Text, der mich anspricht, d.h. mich zum nachdenken anregt. Ich nehme ihn mit in meinen Tag. - Aber wenn ich später den Text weiter bedenke, frage ich mich manchmal, ob ich den Vers nicht aus dem Zusammenhang gerissen habe, oder ob er überhaupt für mich und meinen heutigen Alltag gilt. - Woher kann ich wissen, welche Verheißungen des Alten Testaments für mich gelten?
Eine stark vereinfachte und doch wahre Antwort lautet: „Das ganze Alte Testament ist für Christen.“ In Römer 15,4 heißt es: „Und alles, was die Schrift sagt und was doch schon vor langer Zeit niedergeschrieben wurde, sagt sie unseretwegen. Wir sind es, die daraus lernen sollen; wir sollen durch ihre Aussagen ermutigt werden, damit wir unbeirrbar durchhalten, bis sich unsere Hoffnung erfüllt.“
Dasselbe steht in 2. Korinther 1,20: „Was immer Gott an Zusagen gemacht hat – in Seiner (Jesu) Person finden sie alle ihre Erfüllung.“ Jesus ist gekommen, um alle Verheißungen, die der Vater je Seinem Volk, d.h. den an Ihn Glaubenden (Seiner Gemeinde) gegeben hat, zu bestätigen und zu erfüllen. In 2. Timotheus 3,16-17 heißt es: „Denn alles, was in der Schrift steht, ist von Gottes Geist eingegeben. Sie befähigt dazu, in der Wahrheit zu unterrichten, Schuld aufzudecken, auf den richtigen Weg zu bringen und zu einem Leben nach Gottes Willen zu erziehen. So ist also der, der Gott gehört und Ihm dient, mit Hilfe der Schrift allen Anforderungen gewachsen; er ist durch sie dafür ausgerüstet, alles zu tun, was gut und richtig ist.“
Von Israel zur Gemeinde
Der Grund, weshalb mein „Alles“ am Anfang eine zu starke Vereinfachung ist, liegt darin, dass sich die Art und Weise, wie wir die Schriften des Alten Testaments verwenden, grundlegend geändert hat. Als Jesus in die Welt kam, von Israel abgelehnt wurde, durch Sein Blut einen neuen Bund einführte (der sich vom alten, mosaischen Bund, unterschied) und sagte: „Ich will (oder „werde“) meine Gemeinde bauen.“ (Matthäus 16,18). Da hat Er nicht gesagt: „Ich werde Israel wieder herstellen!“
Es ist also entscheidend wichtig und hilfreich, die Unterschiede zwischen dem Volk Gottes (der Gemeinde) heute und dem Volk Gottes (Israel) im Alten Testament zu kennen und richtig anzuwenden. Gott verhält sich beiden gegenüber unterschiedlich.
Früher war ich, wie ich es in meinem Studium gelernt habe, der Überzeugung, dass die Bibel Israel und die Gemeinde scharf trennt. Heute sehe ich das nicht mehr so, obwohl Israel von der Gemeinde Jesu Christi unterschieden werden muss.
Die hier aufgeführten Punkte können und sollten uns als eine Art Filter bei unserer Bibellese dienen, um zu wissen, wie wir die Lehren des Alten Testaments richtig verstehen und anwenden sollen.
1. Israel war und ist eine irdische Nation.
Israel war und ist ein irdischer, politischer Nationalstaat unter anderen politischen Nationalstaaten.
Die Gemeinde aber ist es nicht. Sie ist ein Volk, dessen Bürgerrecht im Himmel ist (Philipper 3,20) und das hier auf der Erde nur ein Gast und ein Fremdling ist, verstreut unter allen Nationalstaaten. („Petrus, Apostel Jesu Christi, an die ´von Gott` Erwählten, die – als Fremde ´in dieser Welt` – über ´die Provinzen` Pontus, Galatien, Kappadozien, Asien und Bithynien verstreut sind.“ 1. Petrus 1,1+17)
Christen sind in erster Linie Bürger des Reiches Gottes und erst in zweiter Linie Bürger ihres Nationalstaates. Mit Christen anderer politischer Länder sind wir enger verbunden als mit den ungläubigen Mitbürgern unseres eigenen Landes.
2. Israel war eine Theokratie.
Israel hatte eine irdische Regierung, die von Gott als Theokratie (= Gottesherrschaft) autorisiert war, Gottes Strafen an denjenigen zu vollziehen, die Sein Gesetz brachen, einschließlich der Todesstrafe für Götzendienst und verschiedene andere Sünden. (2. Mose 21,15-17: „Wer seinen Vater oder seine Mutter schlägt, der soll unbedingt sterben. 16 Wer einen Menschen raubt, sei es, dass er ihn verkauft oder dass man ihn noch in seiner Hand findet, der soll unbedingt sterben. 17 Auch wer seinem Vater oder seiner Mutter flucht, soll unbedingt sterben.“)
Die Gemeinde ist keine zivile Regierung und als solche nicht befugt, Gottes Strafen zu vollstrecken. Der Ausschluss aus der Gemeinde durch konsequente Gemeindeseelsorge tritt an die Stelle der Hinrichtung durch die Justiz im alten Israel. Das zeigt uns den großen Ernst dieser Maßnahme.
3. Israel war und ist ein Volk unter Völkern.
Israel, das jüdische Volk, ist im Grunde „nur ein Volk“, das Gott souverän erwählt hat („Denn ein heiliges Volk bist du für den HERRN, deinen Gott; dich hat der HERR, dein Gott, aus allen Völkern erwählt, die auf Erden sind, damit du ein Volk des Eigentums für Ihn seist.“ 5. Mose 7,6).
Die Gemeinde besteht dagegen aus Menschen aller Völker. Die Praktiken, die Israel von den umliegenden Völkern und Ethnien abgrenzen sollten, wie die Speisegesetze und die Beschneidung, sind als Anforderungen für die Gemeinde abgeschafft worden. („Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnitten-sein etwas, sondern eine neue Schöpfung. 16 Über alle, die nach dieser Regel wandeln, komme Frieden und Erbarmen, und über das Israel Gottes!“ Galater 6,15-16)
4. Die Geographie spielte und spielt für Israel immer eine Rolle.
Israel hatte festgelegte geografische Grenzen (4. Mose 34,2f) und ein geografisches religiöses Zentrum, wo sich die Stiftshütte oder der Tempel befanden – Jerusalem.
Die Gemeinde hat keine geographischen Grenzen und auch kein religiöses Zentrum. Wo sich Glaubende im Namen Jesu versammeln, da ist das Zentrum. Dort ist Christus, der König, in der Mitte. („Denn wo zwei oder drei in Meinem Namen versammelt sind, da bin Ich in ihrer Mitte.“ Matthäus 18,20 - „..wisst wohl: Das Reich Gottes ist (bereits) mitten unter euch.“ Lukas 17,21)
5. Jude wird man in der Regel durch Geburt.
In der Regel wird man in das jüdische Volk hineingeboren. Die jüdische Mutter ist dabei entscheidend wichtig.
In die Gemeinde werden Menschen wiedergeboren. („Wenn jemand nicht von Neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.“ Johannes 3,3) Viele Juden lehnten diese Lehre ab und deshalb nannte sie der auferstandene Herr „Lügner“ („Leute, die lügen, indem sie sich Juden nennen, obwohl sie gar keine ´wahren` Juden sind.“ Offenbarung 3,9)
Der neue Bund wird durch das Wunder der Vergebung der Sünden durch den Glauben an Jesus Christus und dadurch, dass Gott das Gesetz auf unsere Herzen schreibt, geschlossen. („Darin soll der Bund bestehen, den Ich mit dem Hause Israel nach dieser Zeit schließen werde« – so lautet der Ausspruch des HERRN –: »Ich will Mein Gesetz in ihr Inneres hineinlegen und es ihnen ins Herz schreiben und will dann ihr Gott sein, und sie sollen Mein Volk sein. 34 Da braucht dann niemand mehr seinem Genossen und niemand seinem Bruder Belehrung zu erteilen und ihm vorzuhalten: ›Lernt den HERRN erkennen!‹, denn sie werden Mich allesamt erkennen, die Kleinsten wie die Größten« – so lautet der Ausspruch des HERRN –; »denn Ich will ihnen ihre Schuld vergeben und ihrer Sünde nicht mehr gedenken!“ Jeremia 31,33-34)
6. Der Missionsbefehl kam später.
Die Religion des Alten Testaments war hauptsächlich eine „Komm und sieh!“-Religion, während die Religion des Neuen Testaments hauptsächlich eine „Geh und erzähle!“-Religion ist.
Im Alten Testament gab es keinen Missionsbefehl, die Völker zu erreichen. Gott konzentrierte sich darauf, Israel unter den Völkern zu segnen, so dass die Königin des Südens kam und sich von Salomos Reichtum und Weisheit beeindrucken ließ („Das Wort ist wahr, das ich in meinem Land über deine Taten und über deine Weisheit gehört habe! 7 Ich aber habe den Worten nicht geglaubt, bis ich gekommen bin und es mit eigenen Augen gesehen habe. Und siehe, es ist mir nicht die Hälfte gesagt worden; du hast mehr Weisheit und Besitz, als das Gerücht sagt, das ich vernommen habe!“ 1. Könige 10,6-7).
Gott sagte nie zu Salomo: „Setze deine Kraft, Weisheit und Reichtum dafür ein, um die Völker zu evangelisieren“, aber genau das sagt Er uns im Neuen Testament.
7. Israel hatte ein Opfersystem.
Das Volk Israel hielt seine Gemeinschaft mit Gott durch regelmäßige Opfer aufrecht, die von einer auserwählten levitischen Priesterschaft dargebracht wurden. (siehe Hebräerbrief)
Jesus aber schaffte dieses ganze System ab und erfüllte es, indem Er selbst das letzte Opfer wurde („Christus wird, nachdem Er sich einmal zum Opfer dargebracht hat, um die Sünden vieler auf sich zu nehmen, zum zweiten Mal denen erscheinen, die auf Ihn warten, nicht wegen der Sünde, sondern zum Heil.“ (Hebräer 9,28) und ebenfalls als letzter Hohepriester fungiert. Als Menschen des Neuen Bundes kommen wir mit Gott ins Reine und erhalten unsere Gemeinschaft mit Gott aufrecht, indem wir auf das stellvertretende Werk Christi vertrauen und uns auf Seine tägliche Fürsprache (Hebräer 7,25) im Himmel verlassen.
8. Der Heilige Geist war noch nicht gekommen.
Schließlich hat das Volk Gottes im Alten Testament zwar das Wirken des Geistes Gottes erfahren, aber sie haben den Geist nicht als den innewohnenden Geist des auferstandenen Christus erfahren oder gekannt.
Heute kennen wir den Heiligen Geist als den Geist Christi. Er wirkt daher in Seiner Gemeinde auf eine Weise, wie Er im Alten Testament nicht wirkte, weil die Gemeinde Sein Leib ist, der Leib des auferstandenen Christus.
Bei der Betrachtung des Heilsplanes Gottes mit den Menschen ist die Kirche in früheren Zeiten dem Irrtum erlegen, Israel als einen Teil der Kirche anzusehen. Dabei ist es genau umgekehrt: Die Gemeinde, d.h. alle die an Jesus den Sohn Gottes und den Messias Israels glauben, wurden in den alten Ölbaum Israel eingepfropft: „Denn wenn du aus dem von Natur wilden Ölbaum (d.h. den Heiden) herausgeschnitten und gegen die Natur in den edlen Ölbaum (d.h. Israel) eingepfropft worden bist, wie viel eher können diese, die natürlichen [Zweige], wieder in ihren eigenen Ölbaum eingepfropft werden (wenn sie zum Glauben an Jesus Christus kommen)!“ (Römer 11,24) Da wir Gläubige also zum alten Ölbaum Israel, dem wahren Israel (Galater 6,16) gehören, sind auch alle Verheißungen des Alten Testaments unser Eigentum. Preis und Dank sei Gott!
Jeder Text des Alten Testaments gehört in Christus den an Jesus Christus Glaubenden!
Meine Hoffnung für uns alle ist, dass wir mit diesen acht Punkten, jeden Text des Alten Testaments nehmen und ihn, mit den notwendigen Veränderungen, die diese Punkte mit sich bringen, uns zu eigen machen, indem wir ihn als in Christus erfüllt betrachten. Denn Christus sagt: „Denkt nicht, dass ich gekommen sei, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen (= aufzuheben)! Ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen (d.h. zur Erfüllung zu bringen).“ (Matthäus 5,17)
Manfred Herold